Die Hexe und die Nonne

Disziplin ist gut – solange sie nicht zum Selbstzweck wird. Um etwas weniger asketisch zu werden, nehme ich mittels des Voice Dialogs Kontakt mit meinem rigiden Anteil auf. Ich stelle mir dazu „die Rigide“ als gegenüber sitzend vor und machte einen Dialog mit ihr.

Ich: „Du engst mich ein mit deinen ständigen Ansprüchen. Immer habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich mich nicht an die Disziplin halte.“

Die Rigide (R.): „Disziplin ist das Fundament der Beziehung zu Gott.“

Ich: „Jaja, stimmt schon! Aber ich kann schon gar nicht mehr atmen, wenn du so Druck auf mich machst! Ich hab sogar richtig Asthma bekommen.“

R.: „Na und? Im Himmel brauchst du keinen Atem mehr! Dann wirst du glücklich sein.“

Ich: „Das dauert mir aber zu lang, darauf zu warten. Ich will jetzt glücklich sein!“

R.: „Das ist Gotteslästerung!!! Einfach so glücklich sein? Man muss sich Gottes Liebe verdienen!“

Ich: „Schon gut, das habe ich bisher auch immer geglaubt. Doch so ein Geizkragen ist doch Gott gar nicht, der IST doch Liebe, und man braucht sich nur für sie zu öffnen.“

(Ich fange an, mir die Rigide etwas genauer anzuschauen. Sie trägt eine braune Kutte mit Kapuze, einen Strick als Gürtel und ist durchaus wohlgenährt. Die Rigide hat sich in eine Nonne verwandelt!).

Nonne (N.): „Klar ist Gott Liebe, er ist barmherzig, wenn man um seine Gnade bittet.“

Ich: „Wieso soll man um etwas bitten müssen, was sowieso in uns ist? Ist nicht dieses ganze Exerzitiengetue nur Illusion? Die Widerstände gegen die Gnade haben wir uns selber aufgebaut; und dann soll der arme liebe Gott hinter uns herräumen?“

(Es taucht eine weitere Gestalt auf – schwarz gekleidet, sehr mager und fast durchscheinend: Eine Hexe!)

Hexe (H.) (an mich gewandt): „Na, mich hast du auch noch nie gesehen, he? Ich hab mich gut versteckt, ich kann mich nämlich unsichtbar machen, mager wie ich bin.“

N.: „Was machst du denn hier! Dich hab ich doch schon ein paar Mal zum Teufel geschickt!“

H.: „Mich kannst du nicht wegschicken. Ich hab nur so wenig gegessen, dass du mich fast nicht mehr sehen konntest. Doch sobald wir in die Welt der Formen gehen, gibt es uns nur zusammen.“

N.: „Neinnein, du machst mir Angst. Ich will ins Licht und hold und hehr und gut sein! Ein Engel vor den Augen des Herrn.“

H.: „Und brav, fromm, gehorsam und kreuzdumm. Du glaubst also, der Herr fände Gefallen an solchen Langweilern?“

N.: „Der Herr liebt die, die ihre niederen Triebe und Emotionen kontrollieren.“

H.: „Und alles unterdrücken, bis sie heuchlerisch und krank werden? Glaubst du, Gott will Kontrollfreaks aus uns machen? Selbstgerechte Besserwisser, die sogar andere für ihre ‚Sünden‘ umbringen?“

(Inzwischen hat die Hexe Farbe ins Gesicht bekommen. Ihre Erscheinung ist dichter geworden. Die Nonne verliert zusehends an Terrain.)

Ich (zur Hexe): „Ich spüre deine wilde Urkraft und deine Unbändigkeit. Ausserdem kannst du eigenständig denken.“

H.: „Es tut mir gut, dass du mich anschaust und anerkennst. Bisher konntest du mich nicht sehen; ich habe mich aber auch extra durchsichtig gemacht, um die Nonne zu ärgern.“

Ich: „Wie bitte? Was hat dich denn geritten?“

H.: „Ich war so enttäuscht, dass mich die Nonne nicht mit ins Boot holte, dass ich mich rächte. Ich kann nämlich durch meine Liebe zaubern, und das kann die Nonne nicht. Sie glaubt, dass sie das durch ihre Exerzitien lernen kann, doch sie wurde nur immer langweiliger und frustrierter. Und ich liess sie in ihrer Selbstgerechtigkeit so richtig auf die Nase fallen.“

Ich: „Das war aber auch nicht grade liebevoll!“

H.: „Nö, gebe ich zu. Ich hab auch die Schnauze voll, mich immer so durchsichtig machen zu müssen und würde gerne mehr meine Kraft leben. Ausserdem habe ich richtig Hunger.“

Ich (zur Nonne): „Bist du bereit, der Hexe etwas Macht abzutreten?“

N.: „Ich muss mich erst noch erholen. Hat die sich lieber fast selbst zerstört, als mit mir zu kooperieren?! Bin ich denn so ein Unmensch?“

Ich: „Da siehst du nur, was Trotz so alles anrichten kann. Doch nun habt ihr wohl beide genug von eurer Einseitigkeit!“

N.: „Ich war ja genauso stur. Ich habe mir nie eingestanden, wie gerne ich ungehorsam und wütend wäre. Wie ich mich nach Lebendigkeit sehnte und nach Intuition, um selber zu wissen, was Gott von mir will, ohne Schriften oder andere, Grössere konsultieren zu müssen. Und ich möchte so gerne seine heilende Kraft spüren, für mich wie für andere!“

H.: „Diese Kraft ist ein wilder Fluss, sie kommt nur, wenn du mit ihr gehst. Da musst du all deine Konzepte loslassen.“

N.: „Huch, dann habe ich ja gar nichts mehr, woran ich mich festhalten kann.“

H.: „Stimmt, doch das gibt dir erst Freiheit und Kraft.“

N.: „Ich kann spüren, was du meinst. Hilfst du mir?“

H.: „Klar, aber nur, wenn du mir künftig ordentlich zu essen gibst! Kochen kann nämlich ich weniger gut.“

 

Dieser Voice Dialog ist ein Schlüsselerlebnis auf meinem Weg zur Ganzheit. Vielleicht haben Sie sich darin wiedererkannt. Gerade spirituell orientierte Menschen haben Mönchs- oder Nonneninkarnationen hinter sich, in denen ihre wilden, lebendigen Anteile unterdrückt wurden, die jetzt integriert werden wollen. Die Hexe hat sich übrigens mit der Unabhängigen (siehe „Ich werde nicht gesehen“) verschwestert und beschert mir Entscheidungen, bei denen ich mich über meinen eigenen Mut erschrecke. Ausserdem ist sie dicker geworden und die Nonne dünner.

 

 

 

 

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